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Glücklich oder unglücklich – wer sich weiterbilden darf,
Christine Böckelmann ist Direktorin und Erik Nagel ist Vizedirektor der Hochschule Luzern – Wirtschaft.
Soll der kürzlich geschaffene freie Weiterbildungsmarkt für Hochschulen wieder eingeschränkt werden? Das würde ihrem Auftrag zuwiderlaufen.
Die Kräfte des freien Marktes sollen in der Weiterbildung eine Rolle spielen – das ist der politische Wille, der Anfang 2017 mit dem Weiterbildungsgesetz umgesetzt wurde. Das gilt natürlich auch für die Weiterbildungsangebote der Hochschulen. Sie müssen kostendeckend angeboten werden und dürfen den Wettbewerb nicht verzerren. Der Weiterbildungsmarkt entwickelt sich aufgrund der hohen Anforderungen der Arbeitswelt und dem damit verbundenen Bedürfnis nach kontinuierlicher Vertiefung der Kompetenzen seit Jahren dynamisch.
Der Marktanteil der Universitäten liegt bei 2,6 Prozent, jener der Fachhochschulen bei 2,9 Prozent. Obwohl die Universitäten also keineswegs eine dominante Rolle spielen, wird ihre Entwicklung im Weiterbildungsbereich immer wieder kritisch bewertet. So wird z.B. behauptet, dass die universitäre Weiterbildung mit der höheren Berufsbildung konkurriert, dass das Weiterbildungsangebot der Hochschulen mit öffentlichen Geldern subventioniert wird oder dass die Hochschulen mit der Weiterbildung „Big Business“ machen. Dies impliziert, dass die Hochschulen ein Eigeninteresse an der Generierung und Maximierung von Einnahmen haben. Obwohl die Kritik leicht zu entkräften ist, wirkt der negative öffentliche Diskurs dennoch:
Praxis und Wissenschaft
Auf der politischen Bühne werden die Stimmen lauter, die eine stärkere Regulierung fordern. Der gerade etablierte freie Markt für Weiterbildung soll für die Hochschulen wieder eingeschränkt werden. Dies widerspricht jedoch ihrem Auftrag. Hochschulen sollen ihr Wissen zum Nutzen von Gesellschaft und Wirtschaft zur Verfügung stellen, was sie insbesondere durch ihre ständig aktualisierten Weiterbildungsangebote tun können. Gerade Fachhochschulen, zu deren „DNA“ eine doppelte Ausrichtung auf Praxis und Wissenschaft gehört, sind prädestiniert, Fach- und Führungskräfte für eine sich rasch wandelnde, zunehmend vernetzte und komplexe Arbeitswelt zu qualifizieren. Der Ruf nach Regulierung wird derzeit in der Frage laut, welcher Rahmen für die Zulassung zur Hochschulbildung gelten soll. Einig ist man sich, dass der Königsweg die Zulassung von Personen mit Hochschulabschluss ist und dass Personen ohne Hochschulabschluss nur in absoluten Ausnahmefällen zugelassen werden. Uneinigkeit besteht in der Frage, unter welchen Bedingungen Personen mit einem Hochschulabschluss der Stufe B Zugang haben sollten. Es wird gefordert, dies durch eine Quote zu regeln, d.h. die Anzahl durch eine starre Regel zu begrenzen. Es soll festgelegt werden, dass „die Mehrheit“ der Teilnehmer über einen Hochschulabschluss verfügen muss. – Die Berufsausbildung führt zu einem hohen Maß an Beschäftigungsfähigkeit. Absolventinnen und Absolventen einer höheren Berufsbildung nehmen in der Arbeitswelt in ihren Fachbereichen oft vergleichbare Aufgaben wahr wie Hochschulabsolventen. Dementsprechend haben sie oft den gleichen Weiterbildungsbedarf oder möchten ihr Fachwissen in denselben Bereichen erweitern und vertiefen. Es ist wichtig, dass diese Berufstätigen in die Lage versetzt werden, sich auf vielfältige Weise lebenslang weiterzubilden und damit auch Zugang zur wissenschaftlich fundierten universitären Weiterbildung haben. Dies muss jedoch an klare Bedingungen im Bereich der Kompetenzen geknüpft sein: Um sicherzustellen, dass die Anforderungen erfüllt werden können, sind eine mehrjährige qualifizierte Berufspraxis in einem für die jeweilige Weiterbildung relevanten Berufsfeld und ausreichende wissenschaftliche Kompetenzen erforderlich. Dies müssen die Hochschulen sicherstellen.
Wahrung der Chancengleichheit
Mit einem Quotensystem würde der Übergang von der höheren Berufsbildung zur Hochschulbildung nicht mehr von den Kompetenzen abhängen. Vielmehr würde er davon abhängen, wie viele andere Menschen zur gleichen Zeit eine höhere Bildung anstreben wollen. Die einen hätten dann einfach Glück, die anderen Pech. Das verletzt die Chancengleichheit, schadet der bewährten Durchlässigkeit des Schweizer Bildungssystems, führt zu Bildungsbiografien, die in Sackgassen enden, und beeinträchtigt die dringend notwendige kontinuierliche Weiterqualifizierung unserer Fachkräfte. Das bestehende Weiterbildungsangebot würde in einzelnen Bereichen zusammenbrechen.
Der Druck, ein Hochschulstudium zu absolvieren, würde weiter zunehmen, da ein späterer Quereinstieg aus der Berufsbildung nicht mehr gewährleistet werden kann. Zudem würde das schweizerische Hochschulsystem als Ganzes geschwächt, da internationale Bildungsanbieter, die vermehrt auf den Markt drängen, sich nicht an die Quotenregelung halten müssten.
Contra
Weiterbildung ist eine nicht-öffentliche Angelegenheit
Klaus Hekking ist Präsident der European Union of Higher Education
Im obigen Artikel, erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 23. Juni 2020, plädieren die Autoren für die Öffnung des kommerziellen Weiterbildungsmarktes für staatliche Hochschulen in der Schweiz. Da diese Diskussion nicht nur in der Schweiz, sondern im gesamten Europäischen Hochschulraum (EHEA) geführt wird, halten wir es für notwendig, unsere Sichtweise zu diesem Thema deutlich zu machen.
Aus Sicht der europäischen Ordnungspolitik halten wir es für richtig, die Aktivitäten der meist aus Steuermitteln finanzierten staatlichen Hochschulen auf dem freien Weiterbildungsmarkt zu beschränken. Ihr Markteintritt mit steuerfinanzierten Lehrkräften und Infrastrukturen in der EU kann eine unvereinbare Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV sein, weil sie den Wettbewerb auf dem freien Bildungsmarkt verzerrt und bewährte und funktionierende Geschäftsmodelle privater Hochschulen, die keine öffentlichen Subventionen erhalten, gefährdet.
Weiterbildung ist in Europa traditionell eine nicht-öffentliche Angelegenheit und ein Terrain der privaten Hochschulen. Sie entwickeln mit eigenem Geld, mit vollem unternehmerischen Risiko und nicht zuletzt in hartem Wettbewerb maßgeschneiderte und praxisnahe Weiterbildungsprogramme von hoher Qualität für die Wirtschaft: Viele von ihnen zahlen für dieses Geschäft auch Unternehmenssteuern. Dieses bewährte Modell der Weiterbildung schafft also eine Win-Win-Situation für Studierende, Kunden, private Hochschulen und den Staat. Das hat in der Vergangenheit und Gegenwart gut funktioniert und wird auch in Zukunft funktionieren. Es gibt keinen Bedarf und keinen Mehrwert durch öffentlich finanzierte Weiterbildung
Es gibt keine Lücke im Weiterbildungsangebot, die öffentliche Hochschulen zwangsläufig füllen müssten. Dies wird allein schon daran deutlich, dass die Weiterbildungsangebote der staatlichen Hochschulen mit einem Marktanteil von unter 3% nur eine sehr geringe Nachfrage haben. Staatliche Hochschulen in Europa haben ihren Kernauftrag in der nicht-kommerziellen akademischen Lehre und Forschung und sie sollten ihre ganze Energie auf diesen Auftrag konzentrieren, um die erstklassige Qualität ihrer Studiengänge und ihrer Forschungsaktivitäten zu sichern.